Mental Load ist ein Phänomen, das viele Eltern kennen – vor allem Mütter. Doch was verbirgt sich dahinter? Und was sagen Experten dazu.
Mental … what?
Über den Begriff Mental Load stolpere ich zum ersten Mal bei einem abendlichen Spaziergang. Waldbaden mit Freundinnen beruhigt strubbelige Nerven. Und ist für einige Mütter eine hart erkämpfte Me-Time im Familienalltag. Während wir laufen, reden wir: Wie das so ist als berufstätige Mutter in Teilzeit, Vollzeit oder als Stay-at-Home-Mom. Und was uns unterscheidet – beispielsweise die Kindheit in den 70-er und 80-er Jahren diesseits und jenseits der Mauer, das Alter, die Anzahl der Kinder, unsere Elternhäuser.
Über unsere Weltsicht diskutieren wir beim Laufen hitzig und kontrovers. Absolutes Einvernehmen herrschte jedoch darüber, sich zu Hause für alles verantwortlich zu fühlen. Irgendwie immer an alles denken und für alle mitdenken zu müssen. Dann fallen die beiden Sätze: „Ganz ehrlich, es ist einfach alles viel zu viel! Zu viel Mental Load!“ Mental Load? Ich beschließe, mich mal genauer damit zu befassen …
Mental Load – ein Modebegriff?
Wer in den sozialen Netzwerken Bloggerinnen wie Patricia Cammarata oder Laura Fröhlich folgt, kommt am Thema Mental Load nicht vorbei. Dabei ist der Begriff nicht neu. Er tauchte schon vor rund 40 Jahren im Zusammenhang mit Stress und Belastung am Arbeitsplatz auf. Durch einen Comic der französischen Illustratorin und Feministin Emma („Warum hast du mich nicht gefragt?“) hat er eine neue Bedeutung bekommen: Mental Load heute bezeichnet die Überforderung, die durch die vielen unsichtbaren Aufgaben im Familienalltag entsteht.
Was Mental Load für Betroffene bedeutet und was sie dagegen tun können, beschreibt Autorin und Bloggerin Patricia Cammarata in ihrem neu erschienenen Buch „Raus aus der Mental-Load-Falle“. Für sie ist die von vielen Müttern beklagte Überlastung weniger ein persönliches als ein systemisches Problem. Eins, das es schon früher gab, das sich aber zunehmend verstärkt. Insbesondere dann, wenn beide Eltern berufstätig sind und das vielzitierte Dorf fehlt, um bei der Kindererziehung und im Familienalltag zu unterstützen. Dann hilft nur eins: Den Mental Load in der Familie gerechter zu verteilen.
„Um Mental Load teilen zu können, muss er erst mal sichtbar werden“

Raus aus der Mental-Load-Falle und Aufgaben gerechter verteilen. bleibgesund.de hat die Autorin und Bloggerin Patricia Cammarata gefragt, wie das geht.
Patricia, was ist für dich Mental Load?
Patricia Cammarata: „Mental Load sind die vielen Aufgaben, die man nicht sieht. Die sich aus den täglichen To-Dos ergeben. All die Dinge, für die man die Verantwortung hat, die man mitplanen, mitbedenken muss, damit die eigentliche Aufgabe gelöst wird. Und die ziemlich stressen.“
Wie bist du auf das Thema gestoßen?
Patricia Cammarata: „Aus persönlicher Erfahrung. Ich bin da nach der Elternzeit meines dritten Kindes und dem Wiedereinstieg in den Job reingerutscht. Am Anfang war mir gar nicht klar, was mit mir los ist. Eigentlich konnten die Rahmenbedingungen besser gar nicht sein. Ich arbeitete 30 Stunden, Homeoffice war möglich. Meine Kinder hatten Plätze in einer fantastischen Kita, mit liebevollen, aufmerksamen Erziehern. Ich mochte meine Arbeit, die Bedingungen waren einfach perfekt, absolut familienfreundlich. Trotzdem war ich morgens auf dem Weg zur Arbeit schon so dermaßen müde, dass ich mich am liebsten auf den Boden gelegt hätte, um zu schlafen. Dass das kein gesundes Verhalten ist, war mir schon klar. Aber ich dachte, diese Erschöpfung ist mein persönliches Problem.“
Und wann hast du gemerkt, dass das kein persönliches Problem ist?
Patricia Cammarata: „Als ich den Comic „Mental Load“ der französischen Illustratorin Emma in den Händen hielt. Darin wird das Ganze auf den Punkt gebracht und hat einen Namen bekommen. Das war wie eine Diagnose auf ein bisher unerkanntes Leiden. Ich habe gemerkt, so wie mir geht es vielen anderen auch.“
Warum trifft das Phänomen vor allem Frauen?
Patricia Cammarata: „Das hängt immer noch mit den Rollenbildern zusammen, die in unseren Köpfen stecken. Es hat sich ja schon vieles geändert. Aber trotzdem arbeiten die meisten Väter heute im Schnitt nach der Geburt eines Kindes nicht weniger, sondern mehr Stunden pro Woche. Und in 72 Prozent der Familien übernehmen Frauen nach wie vor die Hausarbeit, in 88 Prozent die Kindererziehung. Wenn beide berufstätig sind und sich die Familienarbeit teilen, bleibt die Verantwortung häufig trotzdem an den Müttern hängen. Und das bedeutet eben jede Menge Mental Load, für den auch noch die Wertschätzung fehlt.“
Was hilft gegen Mental Load?
Patricia Cammarata: „Bei mir kam irgendwann der Gedanke: Moment mal, ich arbeite in meinem Beruf als IT-Projektmanagerin, da sind bei Langzeitprojekten drei bis fünf Leute beteiligt, die die Umsetzung machen. Die Arbeit wird auf mehrere Schultern verteilt, damit es läuft. Dann bricht auch nicht alles zusammen, wenn einer mal ausfällt. Warum die Erfahrungen aus dem Job nicht für die Familie nutzen? Um Mental Load teilen zu können, muss er aber erstmal sichtbar gemacht werden. Dann kann man darüber reden, gemeinsam planen und Aufgaben verteilen.“
Und dann?
Patricia Cammarata: „Loslassen. Das bedeutet, sich dann auch nicht mehr dafür verantwortlich fühlen, wenn der andere die Aufgabe übernommen hat. Und es bedeutet auch zu akzeptieren, dass der andere es anders macht, als ich es mir vielleicht vorgestellt habe. Das Sichtbarmachen der Aufgaben tut allen in der Familie gut – die Wertschätzung für das, was andere leisten, steigt. Wir bedanken uns heute gegenseitig viel häufiger dafür, was der andere leistet. Außerdem ist es wichtig, Dinge nicht nur zu machen, weil man glaubt, dass andere sie erwarten. Was natürlich auch nützlich ist sind Alltagshelfer wie die Familienkalender-App – oder die Anschaffung eines Staubsauger-Roboters …“
Wie macht man Mental Load sichtbar?
Patricia Cammarata: „Zum Beispiel, indem man ihn aufschreibt. Eine ausführliche To-Do-Liste erstellt – mit allen Aufgaben inklusive der Planungs- und Koordinierungsarbeit, die da dranhängt. Dazu schreiben, wer an die Aufgaben denkt, wie oft die einzelnen Aufgaben in der Woche anfallen, wer sie umsetzt und wie viel Zeitaufwand ungefähr dahintersteckt.“
Klingt nach viel Arbeit. Ist das nicht zeitaufwändig?
Patricia Cammarata: „Die Liste zu erstellen ist einmal viel Arbeit, aber es lohnt sich. Oft führt sie gegenseitig zu mehr Wertschätzung für das, was der Partner leistet. Sie bedeutet ja auch nicht, dass alles 50:50 geteilt werden muss. Wenn alle mit ihrer Aufteilung einverstanden sind – fein! Wenn nicht, lässt sich viel besser schauen, wer welche Aufgaben dauerhaft übernehmen kann. Wir machen einmal in der Woche eine Familienkonferenz, in der wir besprechen, was in den kommenden Tagen ansteht und wer sich darum kümmert. Je älter die Kinder werden, umso mehr bringen auch sie sich ein. Alle paar Monate machen wir eine Retrospektive, wie es so gelaufen ist. Da kann man Frust auch in Ruhe anbringen. Wichtig ist, dass alle sich gut fühlen.“
Mimimi – mitnichten!
Liest man sich die Kommentare zu den Posts über Mental Load durch, findet man auch kritische Stimmen: „Die stellt sich aber auch an!“, „Weiß man doch vorher, dass das mit Kindern so ist!“ oder „Ach, immer dieses Jammern auf hohem Niveau!“. Fakt ist aber: Das ständige Drehen des Gedankenkarussells hat gesundheitliche Folgen.
Die Psychotherapeutin Inés Hermes kennt betroffene Mütter – und zunehmend auch Väter – aus ihrer täglichen Praxis. „Sie kommen zur Beratung, weil sie sich ausgelaugt fühlen, Ängste entwickeln, nicht gut schlafen“, weiß Hermes. „Sie leisten im Alltag sehr viel, versuchen, allen Anforderungen gerecht zu werden. Oder es allen recht zu machen.“ Viele litten unter einem starken Ohnmachtsgefühl: „Ich möchte alles hinbekommen, aber ich schaffe es nicht!“ Irgendwann, so die Expertin, fühlen sie sich ausgebrannt. Und darunter leidet dann die gesamte Familie.
Also kein Mimimi! Deshalb rät Inés Hermes, einem Eltern-Burn-out rechtzeitig vorzubeugen. Hier ihre Tipps:
- Sich selbst wahrnehmen
Wenn ich mich häufig unbehaglich fühle – woran liegt das? Was triggert mich? Mache ich wirklich das, was ich will? - Perfektionismus überprüfen
Manchmal helfen dann die Fragen: Was erwarte ich von mir selbst? Will ich das wirklich tun oder erfülle ich damit eine Erwartungshaltung von anderen? - Das eigene Verhalten verändern
Bei sich und den eigenen Bedürfnissen bleiben. Verantwortung abgeben. Im Zweifelsfall sich selbst fragen: Was passiert eigentlich im schlimmsten Fall, wenn ich jetzt nicht die Spülmaschine ausräume oder die Fenster putze? Lieber öfter mal Zeit für sich nehmen und sich selbst sagen: „Okay, egal was die anderen denken, ich sitz jetzt hier und entspann mich!“
Veränderungen dauern – aber sie kommen!
Und was nehme ich aus den Gesprächen zu Mental Load mit? Alles – und zwar zum nächsten Waldbaden. Schließlich bietet die Frage, wie wir mit unserem Mental Load klarkommen können, Stoff für neue Gespräche. Und, hoffentlich, irgendwann dann auch einen besseren Umgang damit.
I feel you …
Der Slam-Poet Lars Ruppel hat in Worte gefasst, wie sich Mental Load anfühlt. Patricia Cammarata war begeistert und hat sein Gedicht auf YouTube rezitiert.
Inspiration gesucht?
- Patricia Cammarata: Raus aus der Mental-Load-Falle. Beltz-Verlag, Weinheim 2020, 17,95 Euro
- Laura Fröhlich: Die Frau fürs Leben ist nicht das Mädchen für alles! Was Eltern gewinnen, wenn sie den Mental Load teilen. Kösel-Verlag, München 2020, 16 Euro